Haftung bei Nutzung eines Hausnotrufs

Andreas Will

Der Bundesgerichtshof entschied, dass anders als grundsätzlich im Haftungsrecht eine Beweislastumkehr bei grober Verletzung besonderer, die Bewahrung von Leben und Gesundheit bezweckender Schutz- und Organisationspflichten ("Hausnotrufvertrag") zu Gunsten des Auftraggebers bzw. Patienten besteht.

Urteil vom 11. Mai 2017 – III ZR 92/16

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sich am 11. Mai 2017 mit der Frage befasst, ob bei grober Verkennung eines akuten medizinischen Notfalls im Rahmen eines Hausnotrufvertrags eine Umkehr der Beweislast zugunsten des geschädigten Vertragspartners eingreift. Er hat diese Frage eindeutig mit "ja" beantwortet. In dem vom BGH entschiedenen Fall hat der Hausnotrufdienst anstelle eines Rettungswagens oder Arztes lediglich einen Sicherheitsdienst zu dem den Notruf auslösenden Kunden geschickt. Dieser hat die Situation (Schlaganfall) vollkommen falsch eingeschätzt, den am Boden liegenden alten Herrn iauf ein Sofa gesetzt und ist abgezogen. Am darauffolgenden Tag waren die Folgen des Schlaganfalls bereits fortgeschritten. Der Hausnotrufdienst ist zur Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz verurteilt worden.

Aus der Entscheidung:

"Grundsätzlich trägt der Geschädigte die Beweislast für die Pflichtverletzung, die Schadensentstehung und den Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden. Im Arzthaftungsrecht führt allerdings ein grober Behandlungsfehler, der geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, regelmäßig zur Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden. Wegen der Vergleichbarkeit der Interessenlage gilt dies entsprechend bei grober Verletzung sonstiger Berufs- oder Organisationspflichten, sofern diese, ähnlich wie beim Arztberuf, dem Schutz von Leben und Gesundheit anderer dienen. Der Senat hat keine Bedenken, diese Beweisgrundsätze auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Der von dem Beklagten angebotene Hausnotrufvertrag bezweckte in erster Linie den Schutz von Leben und Gesundheit der zumeist älteren und pflegebedürftigen Teilnehmer. Der den Notruf entgegennehmende Mitarbeiter des Beklagten hat die diesem obliegenden vertraglichen Schutz- und Organisationspflichten grob verletzt. Durch diese Nachlässigkeit wurden erhebliche Aufklärungserschwernisse in das Geschehen hineingetragen. Die Beweissituation ist für den Kläger beziehungsweise seine Rechtsnachfolgerinnen gerade dadurch erheblich verschlechtert worden, dass der Beklagte gegen die ihm nach dem Hausnotrufvertrag obliegenden Kardinalpflichten gravierend verstoßen hat und der Kläger infolgedessen bis zur Einlieferung in die Klinik am 11. April 2012 gänzlich unversorgt allein in seiner Wohnung lag."

Vorinstanzen:

Landgericht Berlin – Urteil vom 7. November 2013 – 63 O 41/13

Kammergericht Berlin – Urteil vom 20. Januar 2016 – 26 U 5/14