Die Tricks der Ärzte (Stern, 18.6.2015)

Gordon Neumann

Im Magazin "Stern" (Ausgabe Nr 26 vom 18.6.2015) gibt es einen Artikel, der meine eigene Wahrnehmung bestätigt. Unter der Überschrift "Darf's ein bisschen mehr sein? Im Milliardenbusiness Gesundheit wird der Arzt leicht zum Verkäufer. Für den arglosen Patienten kann das teuer werden – und gefährlich" geht es um das Spannungsfeld zwischen der optimalen Therapie für den Patienten und den wirtschaftlichen Interessen des Arztes, bzw. der Klinik.

Auf Seite 40 heißt es: "Krankenkassen und Krankenhäuser, Ärzte, Forscher und Politiker – sie alle haben verdächtige Entwicklungen in den Patientendaten ausgemacht. Innerhalb von nur acht Jahren hat die Zahl der Operationen in deutschen Kliniken um fast ein Drittel zugenommen – auf nahezu 16 Millionen. [...]

Die Autorin, Frau Dagmar Gassen, versucht in dem Artikel eine Erklärung für die Zunahme bestimmter ärztlicher Eingriffe zu finden und weist darauf hin, dass die Vergütung von Chefärzten in Kliniken mittlerweile auch zum Teil davon abhängen, "wie viel Menge sie machten" (S. 41/42).

Der Professor für Gesundheitsökonomie Jonas Schreyögg habe herausgefunden, dass bei vielen Therapien, die sich planen lassen, dann die Fallzahlen steigen, wenn die Bezahlung dafür steigt. Sinkt die Bezahlung, gehen die Fallzahlen zurück. Dies gelte insbesondere für Wirbelsäulen-OPs und für Katheter gestützte Prozeduren (zum Beispiel neue Herzklappen).

Professor Jürgen Wasem habe durch Befragung von beinahe 1.500 Chefärzten herausgefunden, dass 39 % glaubten, in ihrem Fachgebiet käme es aus wirtschaftlichen Gründen zu überhöhten Eingriffszahlen. Bei den Orthopäden/Chirurgen seien es sogar 47 %, bei den Kardiologen 61 %. Nach Prof. Wasem hätten die meisten Krankenhäuser heute konkrete Vorgaben, was die Abteilungen an Fallzahlen bringen müssten. Teils seien die Boni der Chefärzte daran geknüpft.

Die Autorin gibt den Ratschlag (S. 43), dass sich Patienten vor der Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff umfassend über alternative Behandlungsmöglichkeiten aufklären lassen und sich mit Vertrauten besprechen sollten. Vor größeren Operationen oder besonders belastenden Behandlungen sollte eine zweite Expertenmeinung eingeholt werden. Einige Krankenkassen würden hier mit privaten Anbietern von Zweitmeinungen kooperieren.

Der oben erwähnte Artikel bestätigt, was ich seit geraumer Zeit als Patientenrechtler beobachte. Bei vielen Eingriffen war nicht nur die Frage, ob ein ärztlicher Behandlungsfehler vorlag. Es war auch fraglich, ob überhaupt eine medizinische Indikation für den betreffenden Eingriff bestand. Ich persönlich stelle mir vor, dass es für einen Arzt nicht immer leicht sein dürfte, in jedem einzelnen Fall der Versuchung zu widerstehen, durch eine " überflüssige" Behandlung – die zwar vertretbar, aber nicht zwingend erforderlich ist – zusätzliches Geld zu verdienen. In einer Klinik kommt dann noch der Druck von "oben" hinzu.

Das Problem ist doch Folgendes: Der Arzt bekommt nur dann Geld, wenn er eine Behandlung vornimmt. Das Vergütungssystem ist so aufgebaut, dass jede Behandlung unterschiedlich bezahlt wird. Wenn also bestimmte Behandlungen finanziell besonders attraktiv sind,  werden immer einige Leistungserbringer dazu verleitet sein, besonders viele dieser lukrativen Eingriffe vorzunehmen.

Wenn eine Kniespiegelung 1.961 Euro bringt, bedarf es wohl schon eines hohen Maßes moralischer Integrität, dem Patienten im Zweifelsfall von einer solchen Maßnahme abzuraten. wenn die Zahl in dem vorerwähnten "Stern"-Artikel richtig ist, wurden 2013 bei mehr als 140.000 Patienten Kniespiegelungen durchgeführt.

Wenn Sie den Eindruck haben, dass eine bestimmte ärztliche Behandlung fehlerhaft oder überflüssig, d.h. medizinisch nicht indiziert, war, stehe ich Ihnen für ein kostenloses erstes telefonisches Beratungsgespräch zur Verfügung. Ich bin als Fachanwalt für Medizinrecht auf Arzthaftungsfälle spezialisiert und vertrete seit vielen Jahren ausschließlich die Patientenseite.

Tel.: 040-32809780

Gordon Neumann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht