
Arbeitsgericht HH: Kündigung wegen Krankheit
Zur Bedeutung des betrieblichen Eingliederungsmanagements im Kündigungsschutzverfahren
In meinem Fachbeitrag „Kündigung wegen Krankheit“ habe ich mich mit der Frage befasst, ob einem Arbeitnehmer während der Dauer einer Erkrankung die Kündigung ausgesprochen werden darf und welche Wirksamkeitsvoraussetzungen für eine solche Kündigung gelten.
Motivation für die Veröffentlichung war, dass man in der anwaltlichen Praxis verhältnismäßig häufig mit der Rechtsauffassung konfrontiert wird, einem erkrankten Arbeitnehmer könne nicht gekündigt werden, Arbeitsunfähigkeit schütze also sozusagen vor Kündigung. Es handelt sich hierbei um einen - populären - Rechtsirrtum.
Gleichwohl gibt es bei einer krankheitsbedingten Kündigung einige Besonderheiten zu beachten. In einer aktuellen Entscheidung hat das Arbeitsgericht Hamburg die höchstrichterliche Rechtsprechung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) gem. § 84 Abs. 2 SGB IX mustergültig umgesetzt. Die Entscheidung zeigt die Konsequenzen eines unterlassenen Eingliederungsmanagements sehr deutlich auf.
Was war passiert?
Ein Arbeitnehmer war länger und häufiger erkrankt. Trotzdem hat der Arbeitgeber kein betriebliches Eingliederungsmanagement zur Sicherung des Arbeitsplatzes durchgeführt. Nun hat der Arbeitgeber krankheitsbedingt gekündigt, woraufhin der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhoben hat.
Das Urteil des Gerichts
Das Versäumen des betrieblichen Eingliederungsmanagements führt nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Allerdings hat es Auswirkungen auf die sog. Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf die Frage, ob ein BEM – wäre es ordnungsgemäß durchgeführt worden – Erfolg gehabt hätte (mit der Folge, dass weitere Fehlzeiten eingeschränkt worden und es nicht zu einer Kündigung gekommen wäre).
Nach Auffassung des Gerichts muss der betroffene Arbeitgeber umfassend vortragen, dass es keine Einsatzmöglichkeit auf dem bisherigen Arbeitsplatz gebe, eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung ausgeschlossen und auch keine Beschäftigung mit anderen Aufgaben möglich sei.
Im entschiedenen Fall hat der Arbeitgeber nicht widerlegt, dass dem Kläger ein leidensgerechter Arbeitsplatz zugewiesen werden könnte. Damit hat er das Verfahren verloren, die Kündigung war unwirksam.
Auswirkungen für die Praxis:
Die Entscheidung zeigt erneut, dass das Versäumen des – gesetzlich vorgeschriebenen – BEM zu erheblichen prozessualen Nachteilen in einem Kündigungsschutzverfahren führt. Praktisch ist es dem Arbeitgeber kaum möglich, nachzuweisen, dass das BEM – wäre es ordnungsgemäß durchgeführt worden – zu keinem Erfolg geführt hätte.
In praxi bedeutet dies, dass der Arbeitgeber beweisen muss, dass selbst bei rechtzeitiger Intervention (also schon zu Beginn der Leidensgeschichte) und auch bei späteren Fehlzeiten keine Möglichkeit bestanden hätte, die Erkrankungen so zu reduzieren, dass das Arbeitsverhältnis nicht mehr gefährdet war.